Michael, warum hast du uns das angetan?

So stand am Anfang meine Anklage. Alle erkundigten sich nach dem Tod von Michael nach meinen Eltern. Aber ich hatte doch auch eine Beziehung zu Michael. Warum fragt keiner nach mir? Es hieß: Ihr seid doch noch jung – ihr habt das Leben noch vor euch. Das war für mich der Schritt, meine Wut über das Erlebte zuzulassen, nach mir zu schauen und zu fragen:
was brauche ich.

Ich denke, mittlerweile habe ich meinen Weg gefunden, der jedoch immer wieder sehr holprig ist. Ich denke, das gehört dazu. Steine sind dazu da, darüberzusteigen oder sie aus dem Weg zu räumen.

Ich frage nicht mehr nach dem Warum. Das lässt sich nicht klären. Ich frage nach dem Wozu und finde tatsächlich hin und wieder eine Antwort, vor allem eine, die mit mir und meinem Leben zu tun hat.

Ich möchte allen Geschwistern Mut machen, in sich hineinzuhören. Ich möchte alle Eltern ermutigen, für die Kinder da zu sein, wahrzunehmen, dass sie um den Tod ihres Geschwisters  sehr traurig und verletzt sind und dies über die verschiedensten Äußerungen zeigen.

Ursula Mai, eigene Gedanken im Jahr 2003 nach dem Suizid meines Bruders im Jahr 1997

 

Daniel,

nach 10 Jahren

  • hat die Zeit die Wunden nicht geheilt.
  • ist nichts leichter geworden.
  • ist aber alles anders.
  • hat man gelernt weiterzuleben.
  • ist alles so weit weg.
  • ist man immer noch unendlich traurig.
  • bleibt die Trauer unberechenbar.
  • ist es kein Alptraum mehr.
  • ist die Liebe trotzdem immer noch stark.
  • hat man zwei Gesichter.
  • kommen die Tränen unvorhersehbar.
  • kann man aber auch wieder lachen.
  • hat man sich an die neue Situation gewöhnt.

nach 10 Jahren, ohne Daniel!

Niemals wird es wieder so sein, wie es einmal war.

Überall ist Daniel, nirgendwo ist Daniel!

Ute Weldishofer, Gedanken zum 10. Todestag 2020